- Wörter in ihrer lexikalischen und grammatischen Dimension
- Wörter in ihrer lexikalischen und grammatischen DimensionLaute und Buchstaben werden selten einzeln verwendet: Die eigentlichen Grundelemente der Sprache sind Wörter, das heißt Folgen von Lauten beziehungsweise Buchstaben.Obwohl jeder eine gewisse Vorstellung von einemWort hat, fällt es bei näherer Betrachtung doch schwer, eine präzise Definition zu geben. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob der Satz Er läuft mit aus drei oder aus zwei Wörtern besteht, denn mitlaufen ist im Wörterbuch als eine lautlich beziehungsweise schriftliche Einheit notiert. Unterstellen hat in dem Beispiel Peter stellt sein Auto in der Garage unter eine andere Bedeutung als in dem Satz Peter wurde eine betrügerische Absicht unterstellt. Handelt es sich nun im Fall von unterstellen um ein Wort oder sind aufgrund der unterschiedlichen Bedeutung zwei Wörter anzusetzen? Die Beispielsätze stellen das Wort jeweils als lautliche, als schriftliche oder als mit Bedeutung versehene Einheit dar. Es hat sich allerdings als zweckmäßig erwiesen, das Wort nicht nur auf einer der gerade genannten Ebenen zu betrachten, sondern es unter Einbeziehung all seiner unterschiedlichen Ebenen zu definieren. Als Wörter sollen deshalb abgegrenzte Laut-/Schriftkomplexe gezählt werden, die eine Bedeutung besitzen und — als kleinste selbstständige Einheit im Satz — verschiebbar sind.Die WortartenWörter können in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden, die man Wortarten nennt. Die Klassifikation der Wörter in der europäischen Tradition geht auf den griechischen Grammatiker Dionysios Thrax zurück, der im 2. Jahrhundert vor Christus die erste bekannte griechische Grammatik verfasste. Allerdings variiert die Einteilung der Wortarten von Sprache zu Sprache. Im Deutschen unterscheidet man meist die Wortarten Substantiv, Verb, Adjektiv, Adverb, Pronomen, Präposition, Konjunktion, Artikel und Partikel. Die ersten vier der aufgezählten Wortarten umfassen dabei einen relativ großen Teil unseres Wortschatzes — etwa zwei Drittel des deutschen Wortschatzes besteht aus Substantiven — und sind ständigen Veränderungen unterworfen, da neue Wörter auftreten und andere veralten. Pronomen, Präpositionen, Konjunktionen, Artikel und Partikel dagegen nehmen einen kleineren Teil des Wortschatzes ein und verändern sich wenig und langsam.Die Gesamtheit der Wörter einer Sprache bildet ihren Wortschatz. Der Wortschatz des Deutschen umfasst beispielsweise etwa 500 000 Wörter. Dieser besteht im Wesentlichen jedoch nicht aus einfachen Wörtern (Simplizia) wie groß oder klein, sondern aus abgeleiteten und zusammengesetzten Wörtern wie vergrößern oder Kleinbetriebe. Aus wenigen tausend Simplizia entsteht dann durch Zusammensetzungen von Wörtern oder durch Verbindungen mit den über 200 unselbstständigen Elementen der Wortbildung wie den Präfixen (Vorsilben) oder den Suffixen (Nachsilben) der größte Teil der Wortbildungen. So ist es möglich, dass sich der Wortschatz schnell und zweckmäßig Veränderungen anpassen kann. Denn entstehen neue gesellschaftliche Situationen oder werden Erfindungen und Entdeckungen gemacht, müssen diese begrifflich gefasst werden; spielen aber Dinge keine Rolle mehr in unserem Leben, so verschwinden auch ihre Bezeichnungen langsam aus unserem täglichen Sprachgebrauch.Im Deutschen sind Zusammensetzung (Komposition), Ableitung, Präfix- und Kurzwortbildung die wichtigsten Mittel der Wortbildung. Zusammensetzungen, die aus einem Grundwort bestehen, das durch ein Bestimmungswort näher beschrieben wird, heißen Determinativkomposita. Dabei ist das Grundwort das zweite Glied der Zusammensetzung. Im Beispiel der Zusammensetzung Bierflasche ist Flasche das Grundwort und das erste Glied Bier beschreibt näher, um welche Art von Flasche es sich handelt. Ist Bier das Grundwort, so kann es durch das Bestimmungswort Flasche näher als Flasche(n) bier determiniert werden. Eine komplexere Beziehung zueinander haben die beiden Komponenten bei Bildungen wie Grünschnabel oder Blauhelm. Ein Grünschnabel ist kein grüner Schnabel; das Kompositum bezeichnet vielmehr einen jungen Menschen, der in seiner Unerfahrenheit einem jungen Vogel gleicht, der das Nest noch nicht verlassen hat und dessen Schnabel noch grünlich hell ist. Bei solchen Komposita handelt es sich meist um idiomatisierte Bildungen. Es gibt auch Zusammensetzungen bei denen Wörter der gleichen Wortklasse gleichberechtigt nebeneinander stehen. In taubstumm stehen taub und stumm in der gerade erwähnten Weise zusammen, sie könnten aber genauso mit und oder sowohl. .. als auch verbunden werden. Was süßsauer ist, ist sowohl süß als auch sauer.Die Wortbildung durch Ableitung ist im Deutschen ebenfalls ein schöpferisches Mittel der Sprache. Mithilfe von Suffixen wie -schaft, -bar, -ier(en), die an das Wortende gehängt werden, ist es möglich, neue Wörter zu bilden; in diesem Fall können Ableitungen wie Hilfsbereitschaft, reizbar und fotografieren entstehen. Das Suffix als unselbstständiges Element bestimmt dabei die Wortart der Ableitung und bewirkt unter Umständen die Überführung einer Wortart in eine andere. Aus dem Adjektiv hilfsbereit wird dabei das Substantiv Hilfsbereitschaft, aus dem Substantiv Reiz wird das Adjektiv reizbar und durch Anhängen von -ier(en) entsteht aus dem Substantiv Fotograf das Verb fotografieren. Wechselt ein Wort nun die Wortart, ohne dass dabei ein Suffix herantritt, so spricht man von Konversion (Der Schmuck ist hässlich, aber: Sie besitzen ein schmuckes Häuschen.). Wie Suffixe an ein Wort angehängt werden können, so können Präfixe vor ein Wort treten und damit Neubildungen schaffen. Aus der Tugend kann somit die Un-Tugend werden, aus mutig miss-mutig.Schließlich gibt es noch die verschiedenen Formen der Kurzwortbildung. Zum einen ist es möglich, einen Teil eines mehrgliedrigen Wortes einfach wegzulassen. Der Omnibus wird dabei zum Bus, die Universität zur Uni. Zum anderen entstehen aus den ersten und letzten Teilen von Wörtern oder Wortgruppen Kurzwörter. Niemand spricht zum Beispiel von einem Motorhotel, die Bezeichnung Motel hat sich selbst im Deutschen eingebürgert. Einen extremen Fall von Kurzwortbildung stellen die Initialwörter dar. Sie bestehen nur aus den Anfangsbuchstaben von vollständigen Wörtern: Die Badische Anilin- und Sodafabrik wird zum Beispiel kurz zur BASF. Bei Kurzwörtern wie Kripo (Kriminalpolizei) oder Azubi (Auszubildender) sind immerhin noch mehrere Buchstaben miteinander gekoppelt, die dann sprechbare Silben bilden.EntlehnungenEine ganz andere Art der Erweiterung des Wortschatzes stellen Übernahmen aus fremden Sprachen dar, die die Linguistik Entlehnungen nennt. Fast jede Sprache steht ständig mit anderen Sprachen in vielfältigem Kontakt. Die intensiven Beziehungen auf allen Gebieten führen zu wechselseitigen sprachlichen Beeinflussungen. So war Latein früher die Sprache der Kirche und der Wissenschaft und hat noch in der modernen deutschen Sprache ihre Spuren hinterlassen. Auch das Französische trug zur Erweiterung des Wortschatzes bei. Die Übernahmen aus dem Englischen setzten bereits im 19. Jahrhundert ein und nahmen nach dem Zweiten Weltkrieg rapide zu. Mit seiner zunehmenden Bedeutung als Welthilfssprache und als vorherrschende Sprache in Technik und Wissenschaft hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts die Zahl der Entlehnungen aus dem Englischen ständig vergrößert.Man unterscheidet zwischen verschiedenen Formen der Entlehnung. Wörter, die ohne wesentliche Modifikation aus einer anderen Sprache übernommen werden und als fremd erkannt werden — wie zum Beispiel Geisha oder Mafia — sind Fremdwörter. Dabei muss die Bedeutung des Fremdwortes nicht mit seiner ursprünglichen Bedeutung übereinstimmen. Das Wort job etwa hat im Amerikanischen nicht den Beiklang von Gelegenheitsarbeit, den es als Fremdwort im Deutschen oft noch hat. Werden aber ursprünglich als Fremdwörter in die deutsche Sprache gelangte Wörter an unser Sprachsystem angepasst und dabei unter anderem in Aussprache und Schreibung so weit an die deutsche Sprache angeglichen, dass sie nicht mehr als fremd erkannt werden, spricht man von Lehnwörtern. Ein Lehnwort ist beispielsweise das Wort Pfeil, das auf lateinisch pilum zurückgeht, oder das Wort Kaffee, das aus dem Französischen ins Deutsche entlehnt wurde, aber ursprünglich wohl auf einem arabischen Wort basiert.Wenn jedoch Wörter nicht einfach aus einer fremden Sprache übernommen werden, sondern Stück für Stück übersetzt oder nachgebildet werden, spricht man von Lehnübersetzungen beziehungsweise von Lehnübertragungen. So stellt das Wort allmächtig eine Lehnübersetzung des lateinischen omnipotens dar und Wolkenkratzer ist durch Lehnübertragung aus skyscraper entstanden — eine wörtliche Übersetzung hätte einen Himmelskratzer ergeben. Wenn die Neubildung vom fremden Vorbild formal fast unabhängig ist, also äußerlich bei der Neubildung kaum ihren Niederschlag findet, und sich die Wortbildung nach inhaltlichen Vorgaben richtet, wird sie als Lehnschöpfung bezeichnet. In diesem Sinne beruht beispielsweise das Wort Waffenstillstand auf dem französischen Wort armistice. Völlig von der äußeren Form des fremden Wortes hat sich die Lehnbedeutung entfernt. Ein heimisches Wort übernimmt stattdessen die Bedeutung des fremden Wortes. So hat das Wort Heiland (ursprünglich der Heilende) aus dem Lateinischen (salvator) die Bedeutung Erlöser übernommen.WortfamilienIm Laufe der sprachlichen Entwicklung wird der Wortschatz einer Sprache, der — wie wir sehen konnten — vor allem durch die verschiedenen Arten der Wortbildung einen beträchtlichen Umfang annehmen kann, unübersichtlich. Deshalb hat man versucht, den Wortschatz wenigstens partiell zu strukturieren. Die Bildung von Wortfamilien ist eine Möglichkeit dies zu tun. Dabei werden Wörter zusammengefasst, die einen gemeinsamen Ursprung haben oder im Sinne der Wortbildung miteinander verwandt sind. Allerdings ist durch die Veränderungen, die im Verlauf der Sprachgeschichte an den einzelnen Wörtern aufgetreten sind, die Zusammengehörigkeit nicht immer deutlich zu erkennen.Wortfamilien können unterschiedlich groß sein. Die Wortfamilie des Verbs ziehen beispielsweise zählt über 1000 Wörter. Durch Präfixbildung entstanden unter anderem eine Vielzahl von Wortbildungen wie abziehen, anziehen, aufziehen, beziehen, erziehen, nachziehen, umziehen, verziehen und vorziehen, die oftmals wieder die Grundlage für Ableitungen wie Beziehung oder Erziehung bilden. Aber auch Zaum, Zeug, Zeuge, Zeugnis, zögern, Zögling, Zucht, zucken, großzügig und sogar der Herzog gehören zur Worfamilie ziehen, obwohl die Zusammengehörigkeit in diesen Fällen nicht ohne weiteres sichtbar ist (und mit Recht bezweifelt werden kann).Bedeutungsbeziehungen im WortschatzDer Wortschatz ist jedoch nicht allein aus der Perspektive der Wortbildung zu strukturieren. Vielmehr bestehen auch inhaltliche Beziehungen zwischen seinen Elementen. Am radikalsten formulierte diesen Gedanken wahrscheinlich der Genfer Linguist Ferdinand de Saussure. Denn er ging von einer grundsätzlichen Relationalität alles Sprachlichen aus. Wörter stehen hiernach in all ihren Dimensionen zueinander in Beziehung und gerade diese umfassende Gliederung des Wortschatzes ist für die einzelnen Wörter streng genommen (in jeder Hinsicht) konstitutiv.Auf die hier angesprochene inhaltliche Dimension bezogen hebt eine solche Perspektive vor allem auf die semantische Relationalität ab, das heißt auf die Bedeutungsbeziehungen innerhalb des Wortschatzes, die auch in Analogie zur klassischen Logik gefasst werden kann. So können Wörter in einem Verhältnis der Unterordnung stehen, das sich unter anderem als Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen definiert. Eine Inklusion liegt zum Beispiel vor, wenn der Artbegriff Seehund dem Gattungsbegriff Tier untergeordnet ist. Die Relation von Stängel, Wurzel oder Blatt zu Pflanze hingegen entspricht dem Verhältnis der Teile zum Ganzen. Synonyme sind Wörter mit unterschiedlicher Form, aber mit gleicher oder ähnlicher Bedeutung. Beispielsweise sind die Begriffe Bewohner und Einwohner in vielen Kontexten bedeutungsähnlich und könnten deshalb gegeneinander ausgetauscht werden: Bewohner eines Ortes, Einwohner eines Ortes. Schließen sich zwei Wortbedeutungen wie die Bedeutung von weiß und grün aus, so liegt eine Exklusion vor. Bezieht sich diese auf Gegensätzliches, wie im Falle der Gegensatzpaare arm — reich oder klein — groß, gestalten sich die Beziehungen der Wörter zueinander als Antonymie.Semantische Relationen werden teilweise erst bei der aktiven Nutzung von Sprache deutlich. Die meisten Wörter haben nämlich nicht nur eine Bedeutung, sondern mehrere Bedeutungsvarianten. Wenn ein Wort wie Salat verschiedene nebeneinander gebrauchte Bedeutungen trägt, so nennt man es polysem: Salat als eine Speise und als Bezeichnung eines Durcheinanders (Da haben wir den Salat!) sind zwei Varianten desselben Wortes. Ist dagegen, wie bei Bank im Sinne eines Geldinstituts und im Sinne eines Sitzmöbels, keine Verwandtschaft der Bedeutungen zu erkennen, so spricht man von verschiedenen, aber homonymen Wörtern. Oftmals gehen diese auch auf unterschiedliche Wortursprünge zurück. So ist die Bank im Sinne von Geldinstitut auf das italienische Wort banco zurückzuführen und Bank als Sitzgelegenheit stammt aus dem Altgermanischen. Der Unterschied zwischen Polysemie und Homonymie ist allerdings nicht in jedem Fall auf den ersten Blick zu erfassen.WortfelderDer Germanist Jost Trier griff den Gedanken einer semantischen Relationalität des Wortschatzes unter systematischem Aspekt auf, als er 1931 das Modell eines sprachlichen Feldes entwickelte. Hiernach ergibt sich die Bedeutung eines Wortes aus seiner Begrenzung gegenüber bedeutungsähnlichen Wörtern, das heißt aus seiner Position innerhalb des sprachlichen Feldes. So lässt sich etwa die Bedeutung der Schulnote ausreichend erst im Zusammenhang der Notenskala insgesamt erkennen. Sie ist für uns nur definiert, wenn wir wissen, dass sie zwischen befriedigend und mangelhaft steht: sehr gut, gut, befriedigend, ausreichend, mangelhaft und ungenügend. Ähnlich verhält es sich mit antonymischen Feldern wie gut — schlecht, sympathisch — unsympathisch oder hell — dunkel und mit dem Feld der Farbadjektive weiß, schwarz, rot, orange, gelb, blau, grün, violett und braun.Dabei wollte Trier nicht nur bestehende Bedeutungsbeziehungen innerhalb des Wortschatzes nachzeichnen. Er beabsichtigte mit seinem Entwurf einer Wortfeldtheorie vielmehr das Diktum Wilhelm von Humboldts zu präzisieren, wonach die Sprache zugleich die Wahrnehmung der Welt gestaltet. Verschiedene Sprachen codieren die Wirklichkeit auf unterschiedliche Weise und bestimmen hierdurch das Denken und die Vorstellungen der Sprecher. Diese Weltbildhypothese war von Anfang an mit einer kulturrelativistischen Sprachauffassung verknüpft. In diesem Sinne versuchten die amerikanischen Wissenschaftler Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf in den 1950er-Jahren Indianersprachen ethnolinguistisch zu analysieren. In der Tat postulierten sie für jede Sprache eine besondere Weltsicht.Allerdings sah sich die These von Sapir und Whorf spätestens mit dem Aufkommen nativistischer Positionen scharfer Kritik ausgesetzt. Eine wichtige Rolle spielten dabei Brent Berlin und Paul Kay, die die linguistische Relativitätstheorie 1969 kritisierten. In einer Untersuchung von Farbwörtern wiesen sie nach, dass Angehörige verschiedener Kulturkreise das Farbspektrum nicht auf radikal verschiedene Weise gliedern und mit Farbwörtern belegen, wie die kulturrelativistische Position unterstellte, sondern zumindest mit Blick auf den Kernbereich des jeweiligen Farbfeldes relativ gut übereinstimmen: Alle Befragten benannten ähnliche zentrale Ausschnitte des Farbspektrums. Offenbar strukturieren wir das Farbspektrum nicht allein mithilfe des Farbfeldes, das heißt aufgrund unserer Sprachstruktur, sondern die Struktur des Farbfeldes beruht auf den allen Menschen gemeinsamen (physiologischen) Bedingungen der Farbwahrnehmung und das wiederum heißt auf der genetisch fundierten neurologischen Disposition des Menschen.Berlin und Kay entwickelten eine These der Evolution der Farbfelder verschiedener Sprachen und sie zeigten, wie die Farbbegriffe innerhalb der einzelnen Sprachen entstehen. So demonstrierten sie, dass alle Sprachen ein Wort für hell und dunkel beziehungsweise für die Farbbegriffe weiß und schwarz haben. Sprachen im Entwicklungsstadium 1 verfügen über diese beiden Wörter. In Stadium 2 wird die Begrifflichkeit um ein gewissermaßen echtes Farbwort erweitert, und zwar in allen Fällen um den Farbbegriff rot. Im dritten Stadium tritt als viertes Farbwort entweder grün oder gelb hinzu, in Stadium 4 entsprechend entweder gelb oder grün. Blau wird in Stadium 5 unterschieden und braun in Stadium 6. Diese Grundbegriffe werden in Stadium 7 um die Unterscheidung von violett, rosa, orange und grau erweitert, wenn eine Sprache über mehr als sieben Farbuniversalien verfügt. Neuere Untersuchungsergebnisse zwangen Berlin und Kay allerdings dazu, diese »Evolutionstheorie der Farbbegriffe« zu modifizieren. Die Theorie der Universalien als solche ist damit jedoch nicht widerlegt, wenngleich sie den Sachverhalt (noch) nicht restlos aufklären konnte, warum die persönliche wie die überindividuelle Welterfahrung in den verschiedenen Sprachen auf unterschiedliche Weise und in letztlich unterschiedlichen Begriffskategorien und Bedeutungsrelationen organisiert ist.Die FlexionWenn man das Verb des Satzes er kocht mit dem Verb der Feststellung er kochte oder das Substantiv der Tisch mit dem Substantiv die Tische vergleicht, erkennt man, dass in beiden Fällen dasselbe Verb beziehungsweise Substantiv verwendet wurde. Es handelt sich also bei kocht und kochte beziehungsweise Tisch und Tische jeweils nur um ein Wort, das heißt, wir haben es mit zwei verschiedenen (Flexions-)Formen desselben Wortes zu tun.Beschreibt ein und dasselbe Verb je nach seiner Form entweder einen Vorgang, der gegenwärtig stattfindet, oder eine Handlung, die in der Vergangenheit liegt, so variiert die Verbform offensichtlich nach der Zeit. Die substantivischen Formen Tisch und Tische dagegen unterscheiden sich in der Anzahl der Dinge, auf die sie sich beziehen. In der Terminologie der Sprachwissenschaft werden die beiden Wörter nach Tempus (Präsens — Präteritum) respektive Numerus (Singular — Plural) flektiert.Ein anderer Aspekt des Formenwechsels ist die Flexion der Adjektive, Pronomina und Artikel nach dem Geschlecht (Genus). Im Französischen richtet sich etwa die Form des Adjektivs regelmäßig danach, ob es sich auf ein Femininum wie im Falle von une grande maison (eine große Wohnung) oder auf ein Maskulinum wie im Falle von un grand lit (ein großes Bett) bezieht. Eine weitere Art der Flexion ist die Flexion nach dem Kasus. Sie ist in der lateinischen Sprache noch deutlich ausgeprägt: Nominativ: uxor (»Frau«), Genitiv: uxoris, Dativ: uxori, Akkusativ: uxorem, Ablativ: uxorem.Die Artikel, Pronomina und Adjektive des Deutschen flektieren nach Genus, Numerus und Kasus. Substantive haben ein festes Genus und flektieren nur nach Numerus und Kasus. Das Lateinische hat neben den genannten fünf Kasus Reste weiterer Kasus, des Vokativs und des Lokativs. Das Deutsche hat vier Kasus und andere Sprachen noch weniger. Das Deutsche hat zwei Numeri (Singular und Plural) und drei Genera (Maskulinum, Femininum und Neutrum). Das Französische hat nur Maskulinum und Femininum und das Schwedische nur Neutrum und Utrum. Die Pluralbildung des Deutschen ist sehr kompliziert: der Tisch — die Tische, das Kind — die Kinder, das Auto — die Autos, die Mutter — die Mütter.Von der äußeren Flexion, bei der ein allen Flexionsformen gemeinsamer Wortstamm mit einem oder mehreren Flexiven zu einer Wortform verknüpft wird, unterscheidet die Sprachwissenschaft den inneren Formenwandel. Innere Flexion liegt zum Beispiel bei dem Plural Mütter zum Singular Mutter vor. Hier wird der Plural nicht durch ein Flexiv, sondern durch Umlautung des /u/ gebildet. Phonetisch gesehen ist [u] ein geschlossener, hinterer, gerundeter Vokal und die Umlautung macht auch ihm einen vorderen, geschlossenen und gerundeten Vokal.Flektieren Substantive, Adjektive und Pronomina nach drei Kategorien, so verändert sich das Verb unter anderem nach den Kategorien Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus (verbi). Die Veränderung nennt die Linguistik Konjugation. Auch hier werden Stämme um Flexive erweitert. In unserem Beispiel wurde der Wortstamm telefonier- um das Tempusflexiv -t und ein weiteres Flexiv -e erweitert, das Person und Numerus indiziert. Wendet man diese Regel an, um zum Beispiel die Verbform der 2. Person Plural zu bilden, ergibt sich die Form (ihr) telefoniertet als Ergebnis einer Stammerweiterung um das Tempusflexiv -t sowie das Flexiv -et zur Kennzeichnung von Person und Numerus. Eine entsprechende temporale Konjugation kennt das Englische. Hier wird zumeist der Wortstamm mit dem Flexiv -ed verschmolzen, sodass beispielsweise die Vergangenheitsformen cleaned (zu to clean, reinigen), washed (zu to wash, waschen) oder rinsed (zu to rinse, spülen) entstehen.Daneben gibt es auch bei der Konjugation eine innere Flexion. Im Deutschen gilt dies etwa für die Verben singen, helfen oder rennen. Werden sie nach Tempus konjugiert, ändert sich jeweils der Vokal in der Stammsilbe: singen wird (in der 1. Person Singular Präteritum) zu sang und gesungen, helfen zu half und geholfen und rennen wird zu rannte und gerannt. Diese Veränderung des Stammvokals nennt man »Ablaut«.Neben Deklination und Konjugation kennt die Sprachwissenschaft noch eine dritte Art der Flexion, die Komparation. Sie bezieht sich auf Veränderungen des Adjektivs: schnell, schneller, schnellste. Entspricht dabei die Grundstufe, der Positiv, dem Wortstamm, entsteht der Komparativ im Deutschen regelmäßig durch Verschmelzung mit dem Flexiv -er. Der Superlativ wird gebildet, indem die Grundform des Wortstamms mit dem Flexiv -este verbunden wird. Zudem wird das Adjektiv nach dem Muster dekliniert, das bereits beschrieben wurde. Komparativ und Superlativ flektieren nach Kasus, Numerus und Genus: Monika erzielte einen weiteren Wurf als Sabine. Die Mannheimer Sportler sind die schnellsten. Allerdings wird in der neueren linguistischen Literatur erwogen, ob es sich bei den Suffixen der Komparation statt um Flexive nicht vielmehr um Wortbildungsmittel handelt, womit die Steigerung der Adjektive der wortbildenden Suffigierung anstelle der Flexion zuzurechnen wäre.Sprachtypologie: Von flektierenden, isolierenden und agglutinierenden SprachenAm Beispiel der Deklination von Tisch wurde gezeigt, wie das Substantiv nach Numerus flektiert, indem die Stammform um das Flexiv -e zu Tische erweitert und so die entsprechende Pluralform gebildet wird. Nach Kasus hingegen flektiert das Wort nicht deutlich erkennbar. In der Einzahl verändert es seine Form nur im Genitiv, indem das Flexiv -s (in alter Form auch -es) mit dem Wortstamm zu Tisch(e) s verknüpft wird; Nominativ, Dativ und Akkusativ des Wortes sind identisch. Im Plural wird die Dativform durch Erweiterung um das Flexiv -n zu Tischen, während alle anderen Kasusformen im Plural übereinstimmen. Die Linguistik spricht deshalb in diesem Zusammenhang lediglich von »Deklinationsresten«, die sich für das Kasusmerkmal im Deutschen erhalten hätten. Sie verweist damit indirekt auf eine Unterscheidung, die bereits im 19. Jahrhundert thematisiert worden ist.Damals hatte unter anderem August Wilhelm Schlegel darauf hingewiesen, dass Sprachen in unterschiedlichem Ausmaße flektierend sind, ja dass es Sprachen gibt, die die formalen Relationen der Wörter nicht durch Flexion, sondern zum Teil mit gänzlich anderen Mitteln ausdrücken. So stellte er das Lateinische mit seiner sehr ausgeprägten Formenveränderung als Prototyp der flektierenden Sprachen den agglutinierenden und isolierenden Sprachen gegenüber: Isolierende Sprachen kennen keine Veränderung der Wortformen beispielsweise nach Kasus und Numerus. Sie ersetzen Kasus und Numerus vielmehr durch die Wortstellung und selbstständige Wörter wie zum Beispiel Zahlwörter. Als Beispiele für isolierende Sprachen gelten das klassische Chinesisch und das Vietnamesische.Demgegenüber unterscheiden sich agglutinierende Sprachen von den flektierenden durch die Art und Weise, wie die Formenveränderung erfolgt. Während bei der Flexion ein einziges Flexiv meist mehrere Funktionen hat (les-e: 1. Person Singular Präsens Indikativ Aktiv) erfolgt die Variation in agglutinierenden Sprachen, wie ihr Name schon sagt, durch »Anleimung« mehrerer Suffixe, die in ihrer grammatischen Funktion und Bedeutung fest definiert sind. So drücken im Türkischen, einem typischen Beispiel für agglutinierende Sprachen, etwa die Suffixe -ler stets den Plural und -i immer eine Possessivrelation (sein, ihr usw.) aus. Aus ev Haus wird so ev-ler »Häuser« und ev-ler-i »seine Häuser«.Sprachtypologische EntwicklungenDie Sprachwissenschaft stellt nun innerhalb der indoeuropäischen Sprachen eine Tendenz zum Abbau der Flexion fest, das heißt eine Entwicklung hin zum isolierenden Sprachtypus: Während das Indoeuropäische selbst vergleichsweise ausgeprägt flektierend war, was sich im Lateinischen und Griechischen bewahrt hat, ist die Flexion zum Beispiel im Deutschen schon deutlich weniger ausgeprägt. Vollends reduziert erscheint sie im Englischen. Denn sieht man von einer Erweiterung der Stammform in der 3. Person Singular durch das Flexiv -s ab, kennt dieses beispielsweise keine Konjugation der Verben nach Person. Englisch ist heute eine weitgehend isolierende Sprache und das Deutsche scheint auf demselben Wege zu sein. So wird beispielsweise das Dativ-e (dem Kind-e — dem Kind) heute zumeist weggelassen. An diesem Beispiel wird deutlich, dass Sprachen nicht einfach flektierend, agglutinierend oder isolierend sind, sondern dass sie mehr oder weniger flektierend, agglutinierend oder isolierend sind. Man erkennt aber auch, dass Sprachen sich entwickeln können etwa von einem flektierenden zu einem isolierenden Typ.Prof. Dr. Volker BeehWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Syntax: Gliederung von SätzenGrundlegende Informationen finden Sie unter:Sprache: Einige allgemeine Eigenschaften
Universal-Lexikon. 2012.